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Die Unterschriftensammlung

Adultismus ist in Deutschland an der Tagesordnung. Die Idee, Kinder und Jugendliche seien vollwertige Menschen mit eigenen Rechten, erscheint vielen Erwachsenen absurd und weltfremd1. Ein besonders "schönes" Beispiel liefert das Max-Plank-Gymnasium in Saarlouis.

Der Versuch

In den Weihnachtsferien 2024 erreichte Eltern des MPG eine ähnliche3 Nachricht wie diese hier2:

Liebe Eltern,

noch kurz vor dem Jahreswechsel eine Information für euch von der letzten Elternsprechersitzung: Im Rahmen der Bemühungen, ein besseres Lernumfeld für Schüler/innen zu schaffen, haben wir uns entschieden, die Möglichkeit der Einführung von abschließbaren Handytaschen (Lockable Phone Pouches) im Unterricht zu prüfen.

Diese Maßnahme soll dazu beitragen, Ablenkungen durch Handys zu minimieren und so die Konzentration und soziale Interaktionen zu fördern. In der Sitzung wurden die Taschen gezeigt und auch die Bedienung erklärt.
[...]

Intransparenz

Viele Jugendliche und Eltern sind von dieser Ankündigung überrascht. Und das, obwohl schon auf der Schulkonferenz im Juni 2024 beschlossen wurde, sich darüber zu informieren, wie Smartphones weggesperrt werden könnten.

Nichts davon wurde öffentlich an Schüler*innen und Eltern kommuniziert, geschweige denn mit ihnen diskutiert. Eltern- und Schüler*innenvertretung haben abgestimmt, ohne Rücksprache mit denen zu halten, die sie eigentlich vertreten sollten.

So erstickt man die Mitbestimmung der Schulgemeinschaft im Keim.

Widerstand

Die Jugendlichen sind von diesen Plänen wenig begeistert. Direkt nach den Ferien sammeln sie montags und dienstags eigenverantwortlich5 in fast allen Klassen Unterschriften gegen die Pläne. Die große Mehrheit der Schülerschaft spricht sich klar gegen die Taschen aus.

Am folgenden Tag werden die Unterschriften in der Gesamtkonferenz an die Schulleitung übergeben. Laut Bericht des Schülersprechers wird schon dort versucht, die Aktion lächerlich zu machen und wegen vermeintlicher Formfehler zu diskreditieren.

Einen weiteren Tag später lobt die Schulleitung in einer Durchsage6 das Engagement der Schüler*innen. Gleichzeitig unterstellt sie, die Aktion beruhe auf unvollständigen Informationen. Außerdem wird unterstellt, die Schüler*innen müssten erstmal ihrem "Informationsrecht"7 nachkommen8. Was auch immer das bedeuten soll.

Verachtung

Etwa eine Woche später liest ein Mitschüler meiner Tochter im Unterricht den folgenden Brief vor:

Brief

Zu den falschen Informationen hatte ich schon hier mehr geschrieben. Jedes Detail dieser manipulativen und übergriffigen Sprache11 unter die Lupe zu nehmen, würde hier den Rahmen sprengen9. Ich beschränke mich auf folgenden Satz:

Im Herbst äußerten die Schülerinnen und Schüler in der Gesamtkonferenz, dass ihnen die Einhaltung des "Handyverbots" einfacher fallen würde, wenn sie ihre Geräte in Handyschränken aufbewahren könnten.

Natürlich haben sich nicht die Schülerinnen und Schüler in der Gesamtkonferenz geäußert10. Es waren ihre Vertreter*innen, und zwar ohne vorher angemessen Rücksprache gehalten zu haben. Den Jugendlichen diese Aussage so in den Mund zu legen, ist unverschämt. Dass gleichzeitig die Unterschriftensammlung mit keinem Wort erwähnt wird, ist kaum zu glauben.

Was für eine Verachtung gegenüber den Interessen junger Menschen!


  1. Die UN-Kinderrechtskonvention wurde 1989 verabschiedet. 

  2. Die Schulleitung des MPG scheint Smartphones vollständig aus der Schule verbannen zu wollen. Die Frage, ob die Maßnahmen rechtlich überhaupt zulässig sind, wird gar nicht erst erwogen. Stattdessen verunsichert man Eltern durch Fake News. Eine neue Hausordnung wird ohne öffentlichen Diskurs mit der Schulgemeinschaft beschlossen. Oder kurz: Das gesetzliche Recht auf Mitbestimmung wird ausgehebelt. 

  3. Es handelt sich um die Formulierung unserer Elternsprecherin. Solche Informationen werden quasi ausschließlich über WhatsApp-Elterngruppen verbreitet. Öffentliche Kommunikationskanäle der Schule oder der jeweiligen Gremien gibt es nicht. Den beigelegten "Entwurf"4 hatte ich schon im Artikel über Fake News veröffentlicht. 

  4. Auf meine Frage, wer für diesen Entwurf verantwortlich ist, antwortete mir der Elternsprecher der Schule:

    Es handelt sich hier nicht um einen Entwurf. Es sollte lediglich als ein Beispiel für den Elternvertreter-Abend dienen, wie man eine Beschriftung aussehen könnte.

    Auf meine nochmalige Nachfrage, wer für das Beispiel verantwortlich sei, bekam ich keine Antwort mehr. 

  5. Die Aktion wurde von einigen Lehrkräften unterstützten oder zumindest wohlwollend akzeptiert. Diesen Lehrkräften möchte ich an dieser Stelle nochmals ausdrücklich danken. 

  6. Durchsagen passen zum üblichen intransparenten Vorgehen der Schulleitung: Soweit möglich wird nur mündlich kommuniziert. Dadurch lassen sich die konkreten Aussagen später nicht belegen. Meine Empfehlung an alle Eltern: Geht bei wichtigen Themen niemals auf Gesprächsangebote ein, sei es in der Schule oder am Telefon. Kommuniziert nur schriftlich über Dienst-E-Mail. Für letztere gibt es Aufbewahrungspflichten, d.h. Lehrpersonen können weder eingehende noch ausgehende Mails komplett löschen. 

  7. Meine Tochter war sich unsicher, ob das Wort "Informationsrecht" oder "Informationsfreiheitsrecht" verwendet wurde. Beides ergibt keinen Sinn, aber wenige Tage vorher erreichte die Schule ihre vermutlich erste Informationsfreiheitsanfrage

  8. Unabhängig davon, ob es explizit ausgesprochen wurde, wird damit suggeriert, die Unterschriftensammlung sei ungültig und das Recht auf Meinungsäußerung sei an Bedingungen geknüpft. Was natürlich blanker Unsinn ist! 

  9. Ich wurde schon mehrfach von objektiven Hermeneut*innen regelrecht angebettelt, meine Kommunikation mit Lehrkräften als Anschauungsbeispiele zur Verfügung zu stellen. Was ich bei privater Kommunikation natürlich abgelehnt habe. Da dieser Brief aber öffentlich ist, wird vielleicht ein eigener Post daraus. 

  10. Auf meine Nachfrage bzgl. eines Protokolls dieser Konferenz antwortet die Schulleitung:

    Einzelne Schüleräußerungen in der Gesamtkonferenz werden im Ergebnisprotokoll nicht protokolliert, sehr wohl aber von den Teilnehmenden erinnert. Entsprechend entspricht es den Tatsachen, wenn ich im Elternbrief auf diese Äußerungen Bezug nehme.

    Ganz oben äußern sich noch "die Schülerinnen und Schüler". Jetzt sind es nur noch "einzelne Schüleräußerungen", die es nicht wert sind, im Protokoll erwähnt zu werden. 

  11. Der Text strotzt nur so vor Doppelbotschaften. Erste Forschungsergebnisse zu möglichen Folgen lassen sich in Double-Bind-Kommunikation als Burnout-Ursache nachlesen. 

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